veröffentlicht im Februar 2012
in der Fachzeitschrift für Autorinnen und Autoren „Federwelt“ Nr. 92
Textküche mit Gasch & Co.
Folge 1: Anschaulich schreiben
Kochen lernt man durch Kochen und durch genaues Hingucken – denken Sie an die vielen Kochshows im Fernsehen. Beim Schreiben ist es ebenso. Natürlich müssen Sie oft und regelmäßig schreiben, um wirklich gut zu werden. Doch auch hier können Sie von anderen eine Menge lernen.
Mit diesem Heft startet die Federwelt mit der „Textküche“: Zwei Schreibprofis, in jeder Folge zwei andere, kommentieren Texte, die noch nicht ganz rund sind. Lektoratsarbeit also auf dem Präsentierteller – ein besonderes Schmankerl für alle, die Buchstaben lieben. Und damit das auf Dauer von hohem praktischem Nährwert bleibt, experimentiert „Küchenchefin“ Anke Gasch von Folge zu Folge mit anderen Zutaten. Diesmal dreht sich alles um das Thema „Anschaulich schreiben“; die Zutatenliste dafür finden Sie auf den Seiten 29 und 30.
Als Textprofis für die erste Folge mit dem Thema „Anschaulich schreiben“ konnten wir Astrid Rösel und Diana Hillebrand gewinnen. Beide Schreiblehrerinnen haben sich passend zum Thema aus einem Fundus an Texten Passagen ausgesucht, die sie lektorieren und kommentieren. Sie werden schnell merken: Jede von beiden arbeitet mit den Texten auf ihre Weise. Spannend, ihnen dabei über die Schulter zu schauen!
Allerdings: Leidet ein Buchstabengericht an mehreren Defiziten, erwähnen unsere Textgourmets zwar, was ihnen alles nicht schmeckt, sie gehen aber nicht näher darauf ein. Ein umfassendes Lektorat oder ein Qualitätsurteil über den Text als Ganzes ist die Analyse unserer ExpertInnen also nicht.
Voilà! Es ist angerichtet!
Vorstellungsrunde
Hallo,
mein Name ist Diana Hillebrand. Ich bin Schreibkursleiterin und Autorin. In meiner Wahlheimat München habe ich 2006 die WortWerkstatt SCHREIBundWEISE in einem ehemaligen Kartoffelkeller gegründet. Vorher war ich 15 Jahre Mitglied einer sehr aktiven Autorengruppe in München, die von einer Lektorin begleitet wurde. Ich habe auch Schreibworkshops besucht. Das war eine sehr intensive Zeit für mich: Ich stand morgens um vier auf, um zu schreiben, danach ging ich ins Büro. Meinen Lebensunterhalt verdiente ich als Büroleiterin einer Anwaltskanzlei, gab Seminare an der Rechtsanwaltskammer München und lernte dabei, wie ein fesselndes Seminar aufgebaut sein muss. Und ich habe etwas über mich gelernt: Ein Leben ohne Schreiben kann ich mir nicht vorstellen!
2006 wagte ich mit der WortWerkstatt SCHREIBundWEISE den Schritt in die Selbstständigkeit. Ich wollte meine Erfahrungen und meine Begeisterung für das Schreiben an andere weitergeben: praxisnah, fröhlich, intensiv, motivierend – so wie ich mir selbst einen Kurs wünsche, damit Texte und Autoren wachsen können.
2011 habe ich ein Kinderbuch veröffentlicht, ein zweites erscheint nächstes Jahr. Außerdem habe ich Fachartikel, Pressetexte, Anthologiebeiträge und Texte für das Radio geschrieben.
Ich biete verschiedene Kurse an vom Anfänger- bis zum Fortgeschrittenenkurs, darüber hinaus gibt es vertiefende Themen-Wochenenden und einen monatlichen Literaturtreff, in dem die Teilnehmer ihre Texte vor Publikum lesen können. – Mein Motto: Heute schon geschrieben?
> www.SCHREIBundWEISE.de
> www.diana-hillebrand.de
Die Texte
...
2. Die Schlange, meine Freundin und Helferin (Textauszug)
Autorin: Sylvia
Kommentare: Diana Hillebrand
(Diana Hillebrand zur farbigen Hinterlegung: „Gelungene Passagen habe ich blau unterlegt, Überarbeitungswürdiges gelb.“)
Um 17:00 war unser Treffpunkt im Café Zur Schlangengrube des hiesigen (siehe K1) Tierparks. Pünktlich fanden wir uns dort ein. Wir setzten uns auf die Terrasse, von einem riesigen Kastanienbaum angenehm beschattet (siehe K2), da es noch feuchtschwül war. Bei Eiskaffee und Mineralwasser besprachen wir noch mal das Nötigste (siehe K3). Meine Freundin Elfriede und ihre Tochter Jeli, meine Mitstreiterinnen. Ich bemerkte bei Jeli einen Anflug von Unsicherheit (siehe K4), aber bei ihr konnte man sich leicht täuschen. Sie war ein stilles Wasser, tiefgründig. Eine junge Frau der wenigen Worte.
Sie blies nachdenklich den Rauch ihrer Menthol-Zigarette in die Luft, wippte mit dem Fuß, schob sich gedankenverloren eine widerspenstige dunkle Strähne aus der Stirn (siehe K5). Ihre schwarzen Augen wanderten unruhig von mir zu ihrer Mutter, um am Terrariumhaus hängenzubleiben. Wir verstummten (siehe K6), als der Tierpfleger aus der Schwingtür trat. Kurz trafen sich die Blicke Jelis und des Tierpflegers, ein gedrungener Mann mit kahlrasiertem Schädel und starren Schlitzaugen, - wie die einer Schlange (siehe K7), schoss es mir durch den Kopf. Ich sah Jeli zweifelnd an, aber die hatte sich schon erhoben. Rasch hatte sie den Pfleger eingeholt, der Richtung Aquarium unterwegs war. Sie klopfte ihm auf die Schulter, und er drehte sich abrupt um.
Nach einem kurzen Gespräch (siehe K8), das von uns beiden atemlos beobachtet wurde, kehrte sie zu uns zurück. „Ja, es Es hat geklappt. Morgen Abend treffen wir uns.“ (Das „ja“ erscheint mir überflüssig, weil sie niemand etwas gefragt hat!) Wir lächelten, leerten unser mittlerweile lauwarmes Mineralwasser, umarmten uns und verließen den Zoo.
Jeli war der Lockvogel. (Wir ALLE sind Lockvögel, Baby!) Aber ob unsre Rechnung aufging? Sicher wollten wir nicht, dass sich Jeli dafür prostituieren musste. Wir hatten natürlich keine Ahnung, was der Pfleger für ein Typ war.
Nach Jelis Rendezvous (siehe K9) trafen wir uns erneut. Jeli war sichtlich (Füllwort, siehe K12) nervös. Ihrer Ansicht nach war der Mann einer von der schmierigen Sorte. Deshalb hatte sie es nicht gewagt, ihm ihr Anliegen gleich mitzuteilen und mit der Tür ins Haus zu fallen.
„Also noch mal ein Date,“ sagte Jeli. (So wird klar, wer spricht.)
Ich schaute sie zweifelnd an, wollte auf gar keinen Fall, dass sie sich auf ein Abenteuer einließ, dass gegen ihren Strich ging.
Am nächsten Abend, nachdem sie die Katze aus dem Sack (siehe K13) gelassen hatte, nahm der Tierpfleger (Sicher wüsste Jeli nach ihrem Date, wie der Tierpfleger heißt) Jeli wie selbstverständlich nach Kassenschluss mit in den Tierpark, denn er hatte eine Schwäche für rätselhafte Frauen mit mysteriösen Geheimnissen. (So rätselhaft wirkt Jeli noch gar nicht!) Er nahm sie in seine gorillaähnlichen (passt gut zu ihm ) Arme, und zog sie mit sich ins stickige Terrarium. „Ich bereite alles vor!“
Er wollte, dass sie zusah. Er angelte gekonnt eine Sandviper (Wie sieht die aus?) aus einem mittelgroßen Glasbehälter, indem er sie schnell hinter den Kopf fasste. Sie ringelte sich um seinen Arm. Er trat zu Jeli: „Willst du sie nicht küssen, wenn ich schon nicht in den Genuss komme? Noch nicht ...“
Sie blieb stehen ohne auszuweichen. Die Schlange war direkt vor ihrem Gesicht. Der starre Blick faszinierte Jeli. Das war wohl (Füllwort!) die Hypnotisierung vor dem Gefressenwerden. Der Mann lachte rau, wandte sich unaufgeregt zum Tisch, auf dem seine Utensilien nun vorbereitet waren. Jeli fiel das Merkblatt an der Wand auf.
ACHTUNG:
Die Schlangen, die gemolken werden,
haben sehr starkes Gift. Deshalb immer
auf Abstand gehen, aber keine
zu plötzlichen Bewegungen vor der
Schlange machen.
Auf keinen Fall sollte die Schlange wütend gemacht werden, damit sie ihr Gift benutzt. Giftschlangen melken ist eine enorm gefährliche Arbeit. Deshalb ist das Melken ausschließlich den Profis zu überlassen. Und es sollte niemals allein durchgeführt werden. (siehe K10)
Zur Entnahme des Giftes wird meist bespannte er ein einfaches Glas mit Folie. bespannt, genommen
Er hielt die Schlange immer noch hinter dem Kopf, hob sie hoch vor das vorbereitete Gefäß, in das das Gift laufen sollte. (Viele Sätze beginnen mit „er“, und auch „sie“ kommt oft vor. Am besten wäre es, „er“ bekäme einen Namen. Variiere ein wenig. Dem Leser sollte immer klar sein, wen Du meinst.) Dann drückte er den Kopf der Schlange durch die überspannte Öffnung des Gefäßes. Instinktiv begann die Schlange, ihre Giftzähne auszufahren und das Gift abzusondern. Nach Beendigung (klingt ein bisschen steif) löste er die Schlange vorsichtig von der Folie und legte sie behutsam in das Gehege zurück, wobei er schnell seine Hand entfernte. (Die Szene ist gut geschrieben, aber WIE entfernt er seine Hand? Besser weglassen!)
„Wie du siehst, hat sich nach der Giftentnahme Die Schlange zieht sich jetzt in ihr Versteck zurück, um ihr Gift zu ersetzen.“ (Versuche, die Dialoge etwas natürlicher zu schreiben. Lies sie Dir am besten laut vor!)
Er nickte zufrieden, drehte den Deckel des Behälters fest zu, in dem sich nun ca. etwa ein mm³ (siehe K11) des Gifts befand. Sie griff rasch nach dem Glas, aber blitzschnell, vipernartig, packte er brutal nach ihrem Arm und umfasste ihre Taille voller Gier, sodass ihr beinahe das Glas mit dem kostbaren Inhalt zu Boden fiel.
Kommentare (K)
K1: Unter dem Wort „hiesigen“ kann sich Dein Leser nichts vorstellen. Wo ist der Tierpark? Wie sieht es dort aus? (B)
K2: +++ Gut und anschaulich, an dieser Stelle wird auch die Jahreszeit klar!
K3: Konkreter: Was ist das Nötigste, das sie besprachen? Evtl. Dialog?
K4: Lass Deine Leser an den Gefühlen der Figuren teilhaben: Woran erkennt man Jelis Unsicherheit konkret? Knetet sie ihre Finger, schaut auf den Boden oder klingt ihre Stimme anders? Beispiel: Jelis Stimme klang belegt, als habe jemand ein Tuch über ihre Stimmbänder gelegt.
K5: +++ Da entsteht ein Bild im Kopf des Lesers. Super!
K6: Sie haben vorher gar nicht wirklich etwas gesagt! J Stichwort: Dialog. Damit kannst Du Deine Figuren anschaulich charakterisieren und ziehst die Leser ins Geschehen.
K7: +++ Gutes Bild in meinem Kopf!
K8: Also mich hätte das Gespräch interessiert!
K9: Auch dieses Rendezvous hätte ich als Leser gern miterlebt. Was ist passiert? Warum glaubt Jeli, dass es ein schmieriger Typ ist? Wie hat er sich verhalten? Was hat er gesagt?
K10: Ich denke, so ein wichtiges Merkblatt wäre
viel kürzer, damit es vom Personal schnell wahrgenommen
werden kann. Ich möchte es vor
meinem inneren Auge sehen. Beispiel:
Die Schlangen, die gemolken werden, haben sehr
starkes Gift! Darum
• auf Abstand gehen,
• keine plötzlichen Bewegungen,
• die Schlangen nicht provozieren,
• das Melken den Fachleuten überlassen,
• immer zu zweit melken.
K11: Woher weiß Jeli das auf den Kubikmillimeter genau? Außerdem: Abkürzungen stören den Lesefluss, weil man sie erst „übersetzen“ muss; in Prosatexten bitte immer ausschreiben.
K12: Beschäftige Dich einmal mit dem Thema Füllwörter. Tipp: Unter www.schreiblabor.com gibt es einen „Füllwörter-Test“.
K13: Neue Metaphern braucht das Land, lass Dir was „Frisches“ einfallen. (B)
Fazit
Ich finde die Idee mit dem Tierpfleger und den Schlangen gelungen und kreativ. Manchmal sind schon gute Bilder in dem Text. Allerdings kannst Du noch mehr machen: Dialoge gestalten einen Text anschaulich. Denn sie charakterisieren die Figuren in der Geschichte. Durch ihr Aussehen, aber auch durch die Art wie sie sprechen, ihre Gestik und Mimik entstehen Bilder und Emotionen beim Leser. Hier könnte man aus dem „schmierigen Tierpfleger“ noch einiges rausholen. Und auch die geheimnisvolle Jeli, die ihn so fasziniert, kommt noch zu wenig rüber. Überlege Dir einen passenden Namen für ihn. Namen charakterisieren. Ein „Helmut“ ist anders als ein „Justin“. Es lohnt sich, im Internet nach passenden Namen zu suchen. Sehr gut gefallen hat mir die Melkszene der Schlange. Da warst Du richtig drin und ich auch! An dieser Stelle endete der Text. Ich würde gern weiterlesen und wissen, wie die Geschichte sich entwickelt! Übrigens: Erst das Überarbeiten macht Texte richtig gut! Vielen Dank, dass Du Deine Geschichte zur Verfügung gestellt hast. Denn am konkreten Beispiel kann man viele Dinge sehr anschaulich erklären. Weiterhin viel Spaß beim Schreiben!
Dieser Artikel wurde im Februar 2012 in der
„Federwelt — Zeitschrift für Autorinnen und Autoren —“
veröffentlicht.
PDF Auszug der Federwelt Nr. 92, Seite 22-30
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© Diana Hillebrand, 2008